Wie erklärt Nietzsche die öffentliche Unterstützung des Autoritarismus?
Friedrich Nietzsche erklärt die öffentliche Unterstützung des Autoritarismus nicht nur aus politischen oder historischen Gründen, sondern auch aus einem tieferen philosophisch-psychologischen. Sein Ansatz konzentriert sich auf die innere Welt, die Wertesysteme und die existenzielle Orientierung des Einzelnen. Um diese Tendenz zu verstehen, ist es notwendig, Nietzsches Grundbegriffe wie Herdenpsychologie, Wille zur Macht, Ressentiment und Nihilismus zusammen zu betrachten.
- Herdenpsychologie und Gehorsamsdrang
Nach Nietzsche ist der Mensch seinem Wesen nach ein Wertschöpfer. Diese schöpferische Kraft entwickelt sich jedoch durch individuellen Mut, Willen und Freiheit. Wenn diese Eigenschaften nachlassen, greift der Einzelne auf vorgefertigte Werte zurück, anstatt eigene zu schaffen, und gibt sich damit der Herdenmentalität aus. Herdenmentalität ist ein Bewusstseinszustand, in dem sich das Individuum in der sicheren Umarmung eines Kollektivs auflöst und persönliche Verantwortung und Freiheit vermeidet.
Im Kern der Herdenmentalität liegen Unsicherheit, Angst und die Unfähigkeit, allein Sinn zu schaffen. Das Individuum überträgt unbewusst seine Entscheidungskompetenz und moralischen Verpflichtungen auf eine externe Autorität und entzieht sich so der existenziellen Last, die mit dem Individuum einhergeht. An diesem Punkt wird die autoritäre Figur nicht nur zu einem Herrscher, sondern zu einem psychologischen Archetyp, einem „führenden Gott“, der die spirituelle Leere der Menschen füllt.
Nietzsche drückt diesen Sachverhalt wie folgt aus:
„Der Mensch hat sich so sehr an den Gehorsam gewöhnt, dass ihn schon der bloße Gedanke an Freiheit mit Schrecken erfüllt.“
(Jenseits von Gut und Böse)
- Die Zerstörung des Willens zur Macht und die Versuchung der Autorität
Für Nietzsche lenken alle Lebewesen ihre Existenz durch den Willen zur Macht. Es geht um den Antrieb des Lebens, seine eigenen Grenzen zu überschreiten, sich selbst herauszufordern und zu formen. In der modernen Gesellschaft wird dieser Wille zur Macht jedoch durch moralische Dogmen, religiöse Ideologien und soziale Normen unterdrückt.
Einem Individuum, das seinen Willen zur Macht nicht verwirklichen kann, fehlt die Kraft, sein eigenes Potenzial zu verwirklichen. In diesem Zustand erlebt man eine innere Leere und Desorientierung. Wenn solche Menschen ihren eigenen Willen verlieren, verspüren sie das Bedürfnis, Zuflucht bei einem starken äußeren Willen zu suchen. Der autoritäre Führer stellt für diese schwachen Seelen eine Art „Ersatzwillen zur Macht“ dar: Der Einzelne kompensiert seinen eigenen Mangel an Willen durch Loyalität gegenüber dem Führer.
Bei diesem Phänomen handelt es sich um die Externalisierung individueller spiritueller Energie: Wenn ein Mensch seine eigene innere Integrität nicht aufbauen kann, gibt er seiner Existenz einen Sinn, indem er eine Figur anbetet, die stärker ist als er selbst.
- Ressentiment: Psychologische Reaktion der Schwachen
Ressentiment, ein Schlüsselkonzept in Nietzsches Moralpsychologie, ist die Verinnerlichung der unterdrückten Wut, die schwache Individuen gegenüber starken Individuen entwickeln und die sich im Laufe der Zeit in Wertschöpfung umwandelt. Bei dieser Reaktion handelt es sich um den Versuch eines schwachen Individuums, das nicht in der Lage ist, direkt anzugreifen, sich überlegen zu fühlen, indem es seinen Feind moralisch demütigt. Ressentiment ist der psychologische Hintergrund für den Aufstieg autoritärer Persönlichkeiten, denn diese Führer bieten dem Volk eine Angriffsfläche für Wut und Groll: den Feind, den Außenseiter, den Andersartigen.
In diesem Zusammenhang stimmt das Volk der „reinigenden Gewalt“ des autoritären Führers zu; denn diese Gewalt dient ihnen als Ausdruck ihrer eigenen inneren Konflikte. So wird Autorität nicht nur zum Stifter der Ordnung, sondern auch zum Mittel der geistigen Reinigung.
- Nihilismus und Zuflucht im Autoritarismus
Nietzsches Definition des Nihilismus ist die existenzielle Leere, die mit der Zerstörung von Werten entsteht. Mit dem Tod Gottes (d. h. dem Zusammenbruch transzendenter Sinnquellen) weiß der Einzelne nicht mehr, was er glauben und wie er leben soll. In dieser Krisenzeit entscheiden sich die Menschen oft für einen von zwei Wegen:
Entweder sie schaffen ihre eigenen Werte und übernehmen individuelle Verantwortung für die Entwicklung übermenschlicher Fähigkeiten,
Oder sie entziehen sich der Last dieser Verantwortung und erfinden einen neuen Gott – diesmal einen Führer, einen Staat oder eine Ideologie.
Zweitens gibt es eine psychologische Grundlage für Autoritarismus. Diese Menschen fliehen vor dem Terror der Freiheit und geben sich mit der Sicherheit der Sklaverei zufrieden. Nietzsche interpretiert dies als „einen latenten Hass auf die Freiheit“. Denn Freiheit ist auch die Last der Sinnstiftung, und die meisten Menschen können diese Last nicht tragen.
- Psychodynamik der Massen: Identifikation mit der Autorität
Nietzsche argumentiert, dass der moderne Mensch, obwohl er in einer inneren Leere lebt, nach „Ganzheit“ sucht und diese oft in einer Macht außerhalb seiner selbst findet. Die Identifikation mit einem autoritären Führer bedeutet für den Einzelnen die Aufhebung seines Selbst und die Herstellung einer psychologischen Verbindung mit dem Mächtigen. Dabei handelt es sich um einen Prozess der Befriedigung, der nicht nur ideologischer, sondern auch narzisstischer Natur ist: Das Individuum leugnet seine eigene Machtlosigkeit, indem es sich mit der mächtigen Person identifiziert.
Dieser Prozess ist ein Symptom eines wachsenden „Hungers nach Sinn“ in der modernen Gesellschaft, und dieser Hunger wird laut Nietzsche durch autoritäre Ideologien gestillt, die psychologisch, wenn nicht philosophisch, auf eine Weise wirken, die der Religion ähnelt.


